CHU Nr. 2: Ego-Shooter 1
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Internationale Forschungsstation Coldview am nördlichen Polarkreis -- 17.03.2004 / 09:00 Uhr
"Guten Morgen." Die Stimme von Carmen Aiello-Schwarz klang fröhlich, während sie das kleine Labor auf Ebene Beta-1 betrat. Es war der erste Raum auf der B-Ebene und lag in einer Tiefe von fünfzehn Metern. Über ihnen befanden sich der Wohnbereich der Forscher sowie des Personals. Assistenten, Köche und Techniker, die für den reibungslosen Betrieb der Station verantwortlich zeichneten. Außerdem beherbergte die A-Ebene eine Bibliothek, ein kleines Kino, den Internetraum, den Speisesaal samt Küche sowie einen Aufenthaltsbereich, der ausgiebig genutzt wurde. Es war die größte Forschungsstation, die je gebaut worden war. Auf mehr als zehn Ebenen erstreckten sich Labors der verschiedenen Disziplinen. Meeresbiologen, Klimaforscher, Tierärzte und andere Wissenschaftler arbeiteten hier Hand in Hand. Anfang März waren auch Historiker und Archäologen in die Labors eingezogen. Ein Schiffswrack im ewigen Eis hatte die Neugier der entsprechenden Fachrichtungen geweckt. Es steckte in einer recht alten Schicht des gefrorenen Wassers. Der Rumpf war vollkommen zerquetscht worden, die Bullaugen aus ihren Fassungen gedrückt. Kanonenschächte zeigten, dass es sich offenbar um ein Kriegsschiff handelte. Da das Schiff keine Hoheitszeichen aufwies, war die Herkunft im Dunklen geblieben, bis sich die Archäologen daran gemacht hatten, das Wrack zu besichtigen. "Salve", erwiderte Doktor Donatella Corti und winkte der Deutschen zu. "Gut geschlafen? Oder noch immer Probleme, sich an die engen Betten zu gewöhnen?" "Nein, es ging. Allerdings plagte mich ein seltsamer Alptraum. War gestern Abend noch kurz draußen. Der Anblick kann einen schon auf seltsame Ideen bringen." Die Italienerin lachte. "Da hast du Recht. Nichts als Eis und Schnee. Aber zumindest bietet der Himmel einen malerischen Anblick." Die Historikerin nickte, während sie sich an den schmalen Labortisch setzte und die Bilder betrachtete, die ein kleiner, funkgesteuerter Roboter schießen konnte, kaum dass der Weg frei gewesen war. Die Archäologen hatten am Vortag mehrere Löcher ins Eis gebohrt, sie miteinander verbunden und so einen Pfad für die kleine Maschine geschaffen. "Das Holz ist noch gut erhalten. Auch die Farben, mit denen die Außenwand gestrichen war. Es scheint ein einfaches Muster zu sein. Rot und blau wechseln sich ab", murmelte Carmen. Sie griff nach dem Becher mit Kaffee, den sie mitgebracht hatte, und nahm einen tiefen Schluck. Es war schon eine Zeit lang her, dass sie als Historikerin in einem solchen Team gearbeitet hatte. Normalerweise unterstützte sie ihren Mann in dessen Detektei. Christoph Schwarz, der Detektiv des Übersinnlichen, befasste sich mit paranormalen Fällen. Sie stand ihm mit Rat und Tat zur Seite, hatte es sich jedoch nicht nehmen lassen, der Einladung ihrer Freundin Donatella zu folgen und an dieser Untersuchung teilzunehmen. Mit dem Segen ihres Mannes, der nur bedauerte, sie nicht begleiten zu können. Doch zum einen war ein Detektiv nun wahrlich niemand, der sich auf solch einer Station wohl gefühlt hätte. Zum anderen bearbeitete er gerade einen Fall. "Könnte eine Galeone sein. Was meinst du? Der Aufbau stimmt, die Form und auch die Farbgebung." "Ja, es spricht viel für eine Galeone und wenig für eine Karacke. Auch wenn es Professor Anderson nicht gefallen wird." Die Italienerin lachte. "Es ist mir so was von egal, was ihm gefällt. Er ist ein aufgeblasener Popanz. Er kann es nicht verwinden, dass man nicht ihm die wissenschaftliche Leitung der Historien-Gruppe übertragen hat, sondern Simon Kechon." "Ja", bestätigte Carmen. "Und der wiederum ist verärgert, nicht mit Jaqueline Berger an dieser Sache arbeiten zu können. Für ihn ist sie eine Göttin. Offenbar war sie nicht einmal zu erreichen, so wenig wie ihre Busenfreundin Joyce La Fayette." "Gut so. Ich kann beide nicht sonderlich ausstehen", kicherte Donatella. "Sie sind arrogant, aber das kennt man ja. Schlimmer find ich, dass sie Raubgräberinnen waren. Ich glaube, sie haben damals ganz schön vom Leder gezogen. Auch wenn beide nun geläutert sind. Lara Croft ist gegen die beiden eine wohlerzogene Maid." Sie lachten beide, während die Schiebetür des Labors aufging und der Israeli Kechon den Raum betrat.


eBook von G. Arentzen, erschienen im August 2006, Titelbild: Meike Förster