Was für ein Silvester. Verdammte Scheiße was für ein
wahnsinnig geiles Silvester. Vermutlich das beste Silvester meines Lebens.
Mehr davon. Ich will viel, viel mehr davon. Es war der erste Januar. Die
Sonne war über den östlichen Wiesen emporgeklettert, die Bayron
Manor umgaben, um uns einen kalten, aber gleichzeitig auch beschaulichen
Tag zu bescheren. Das Gras schimmerte weiß, denn am Abend zuvor hatte
es geschneit. Nun lag die weiße Pracht einer dicken Zuckerschicht gleich
auf den verkrüppelten Halmen und auch auf den Ästen der umliegenden
Bäume. Etwas entfernt erstreckte sich ein Wald, der noch zu den
Ländereien der Bayrons zählte. Früher hatten dort Fuchsjagden
stattgefunden, doch die teils sehr vehementen Proteste gewisser
Naturschützer hatten dem einen Riegel vorgeschoben. Eine Tatsache, die
weniger Diana-Marie als vielmehr ihren Bruder James Edward Bayron traf. Er
war, wie seine Schwester, ein Vampir. Doch anders als Diana-Marie engagierte
er sich weder im Hohen Rat noch diente er ihm als Jäger. James Edward
war das Musterbeispiel eines englischen Gentlemans, eines Sirs, der eine
gewisse Lebensart pflegte. Auf Bayron Manor gab es exklusive Sammlungen
wertvoller Miniaturen, Statuen aus dem alten Ägypten und Waffen. Einige
dieser Dinge hatte ich beschafft ohne das wahre Wesen von James Edward
zu kennen. Damals hätte es mich vermutlich nicht einmal interessiert,
denn zu meiner aktiven Raubgräber-Zeit hätte ich die gefundenen
Dinge auch Frankensteins Monster oder der Mumie verkauft solange sie
mich entsprechend bezahlten. James Edward liebte es, Empfänge zu geben.
Er suchte die Gesellschaft, umgab sich mit reizenden Frauen und spielte den
Lebemann, den nichts erschüttern konnte. Einzig die wenigen Bediensteten
des Hauses wussten um sein Wesen so wie sie auch um das Wesen von
Diana-Marie wussten. Man kann keine Diener haben ohne es ihnen zu sagen.
So hatte es mir Diana-Marie erklärt und es gab keinen Grund, an ihren
Worten zu zweifeln. Sie war ein durch und durch ehrliches Wesen. Keine
Lügen, keine falschen Versprechungen und keine Tricks. Zumindest nicht
im Bezug auf mich. Wie sie ihre Jobs als Großjägerin des Hohen
Rates in Wien erledigte, war ein anderes Thema. Aber das ging mich auch nur
partiell etwas an. Was für ein Silvester. Wenn das Jahr so wird
wie sein Beginn verspricht, kann nichts mehr schief gehen. Dann können
mir sogar die SSSK und ihre Erleuchteten gestohlen bleiben. Diana-Marie
lachte träge, ehe sie sich im Bett herumrollte und wohlig knurrte. Der
Tag hatte begonnen Zeit für sie, etwas Schlaf zu finden. Bei
ihr zu sein bedeutete auch einen völlig anderen Rhythmus zu haben. Bei
Anbeginn der Dunkelheit aufzustehen, die Nacht über wach zu sein und
am Morgen in die Federn zu kriechen. Wäre dies ein Leben auf Dauer,
könnte es einen arg durcheinander bringen. Für ein paar Tage jedoch
war es okay. Komm ins Bett, rief sie und klopfte auf die freie
Stelle neben sich. Wir werden heute Abend Gäste empfangen. Welch
einen Eindruck macht es, wenn deine Augen auf halbmast hängen?
Noch einmal genoss ich den Anblick der Morgensonne über den Wiesen,
ehe ich den Vorhang schloss und meinen Bademantel zu Boden gleiten ließ.
Die Blutsaugerin stieß abermals ein zufriedenes Knurren aus, hob die
Decke und begrüßte mich mit einem Kuss, als ich schließlich
neben ihr lag. Bald beginnen Stress und Hektik des neuen Jahres. Die
SSSK wird ihre Wunden lecken, sich aber sicherlich zu einer neuen, noch
schlimmeren Aktion hinreißen lassen. Wir müssen auf der Hut
sein. Ich weiß. Aber nicht jetzt, nicht heute. Was war,
das war, und was sein wird, wird sein. Du kannst es nicht aufhalten. Schlaf
jetzt, meine Liebe. Ihre Stimme klang bereits etwas verwaschen. Als
Vampirin wurde sie bei Sonnenlicht von einer tiefen Müdigkeit befallen,
welche sie in Morpheus' Arme zwang. Nur mit größter Mühe
konnte sie dem widerstehen. Sie tat es, wenn es die Situation erforderte,
ohne es jedoch zu genießen. Bei mir war dies nicht der Fall. Ich war
zwar müde, hundemüde eigentlich, aber in meinem Kopf arbeitete
es. Nun, nachdem auch der letzte Böller verschossen, das letzte Sektglas
geleert und der letzte Tanz getanzt war, alle Gäste in ihren Betten
lagen und schliefen, um sich von dieser Feier zu erholen, in der Küche
die Angestellten werkelten, um den Neujahrsempfang vorzubereiten, und auch
nachdem im restlichen Manor absolute Stille herrschte, kehrten die Erinnerungen
zurück. Wir hatten einen harten Kampf hinter uns, Diana-Marie, Joyce
McCumail und ich. Der SSSK war es gelungen, einen mächtigen Dämon
zu beschwören und die Hilfe der Tuatha zu gewinnen. Viele Tote hatte
es in der Zeit kurz nach Weihnachten gegeben. Linda, meine Kollegin, hätte
fast dazugehört. Am Ende jedoch konnten wir die Dinge mit vereinten
Kräften und der Hilfe des Prieuré de Sion in die richtigen Bahnen
lenken. Auch wenn wir dabei hatten Wege gehen müssen, welche letztlich
als fragwürdig betrachtet werden mussten. Die SSSK, die sich als Untergruppe
der Illuminati herauskristallisierte, hatte das Beste und das Schlechteste
in uns geweckt, die Grenzen verschoben und uns vor Augen geführt, wie
leicht Menschen auf die dunklen Pfade gelangen können.