Quod me nutrit me destruit? Linda starrte auf das Tattoo,
welches meinen Oberarm zierte, und schüttelte dabei leicht den Kopf.
Offenbar konnte sie mit dem Spruch nichts anfangen. Was mich nährt,
zerstört mich. Ich weiß, erwiderte sie knapp.
Die Worte zu lesen fällt mir nicht schwer. Nur ihren Sinn zu erfassen.
Was soll das? Während ich den Pulli wieder nach unten zog, suchte
ich in Gedanken nach einer guten Antwort. Gab es die? Eine gute Antwort?
Nachdem mich Diana-Marie dazu gedrängt hatte, mir eine Tätowierung
machen zu lassen (Ich finde das sexy, weißt du also komm
), war es dieser Spruch gewesen, der mir spontan eingefallen
war. Was mich nährt, zerstört mich. Schon früher war es ein
Satz gewesen, der mich angesprochen hatte. Während des Studiums, als
wir uns gegenseitig mit solchen Zitaten bombardiert hatten. Nun ja,
weißt du, setzte ich an und war mir am Ende doch nicht sicher,
den Satz in dieser Form zu Ende bringen zu wollen. Andererseits gab es keine
bessere Methode, mit meiner Kollegin darüber zu sprechen. Die
Dinge haben sich geändert. Für mich vor allem. Da ist etwas
in mir
das mich schützt und gleichzeitig zu Dingen verleitet,
die ich nicht tun will. Linda lehnte sich zurück und schloss kurz
die Augen. Auch wenn sie seit ein paar Tagen aus dem Hospital draußen
war, ging es ihr noch immer nicht sonderlich gut. Die körperlichen Wunden
waren verheilt, die seelischen Wunden jedoch noch immer blutend und schmerzend.
Sie litt unter dem, was geschehen war. Unter ihrer Hilflosigkeit, als sie
dem Tuatha gegenüber gestanden hatte, und auch darunter, was mit ihrem
Körper geschehen war. Dieser eine Kampf, dieser eine Schwertstreich
hatte ihr die Chance genommen, jemals eigene Kinder zu haben. Für eine
Frau wie Linda ein Drama, denn sie hatte gewiss entsprechende Pläne
gehabt. Gemeinsam mit Patrick, der mich nun aus Leibeskräften hasste.
Immerhin befand sich Linda in psychologischer Behandlung, erhielt zweimal
die Woche Besuch von einem Fachmann, der ihr über all das hinweghelfen
sollte. Ein Polizeipsychologe, der exakt für solche Fälle geschult
war. Auch normale Beamte wurden im Dienst verwundet oder
getötet da bildeten wir keine große Ausnahme. Ob es nun
ein Drogendealer war, der mit einer Uzi schoss, oder ein Tuatha mit einem
Schwert die körperlichen Schäden waren vergleichbar. Eine
Tatsache, die ich Patrick ständig klar zu machen versuchte. Als er Linda
kennen gelernt hatte, war sie bereits Polizistin gewesen. Was hatte er erwartet?
Dass sie niemals in gefährliche Situationen kommen würde? Illusorisch.
Diana-Marie hat die Dinge nicht gerade vereinfacht. Oder?
Nein, gab ich zu. Ganz im Gegenteil. Alles ist nun so viel
komplizierter als früher. Das, was mit mir und in mir geschieht ebenso
wie meine Sehnsucht nach ihr. Es ist mehr als ein Vermissen. Es ist ein Sehnen,
wie ich es nie gekannt habe. Selbst als ich damals heftig in Hans-Martin
verliebt war, mich nach ihm verzehrte und seinen Namen x-fach in mein Tagebuch
geschrieben habe, war es nicht derart intensiv gewesen. Verstehst du das?
Ihr Blick ruhte auf mir, während sie einen Schmerz in ihrem Unterleib
zu unterdrücken schien. Nicht wirklich. Vielleicht, weil es nicht
vergleichbar ist mit dem, was zwischen Menschen abläuft. Gewiss
ich liebe Patrick und vermisse ihn, wenn er auf Geschäftsreise ist.
Aber als Sehnen würde ich es nicht bezeichnen. Gut. Also
kann ich sagen, dass es diese Magie ist, welche zwischen ihr und mir herrscht,
verstärkt durch ihren Keim in mir, der ohnehin für die konfusesten
Dinge sorgt. Das beruhigt mich. Es beruhigte mich wirklich, denn es
zeigte mir, dass ich eben nicht einfach in das Verliebt-Sein-Teenager-Alter
zurückgefallen war. Ganz im Gegenteil. Das zwischen der Blutsaugerin
und mir war anders, war Vampir-Magie und damit jenseits dessen, was man
landläufig von Liebe und all dem verstand. Hätte ich mir all diese
Fragen auch gestellt, wenn Diana-Marie ein Mann gewesen wäre?