John Sinclair Nr. 1686: Kugelfest und brandgefährlich
"Du wirst bald die schönste Mörderin der Welt sein, meine kleine
Prinzessin
" Die alte Frau - sie wurde wegen ihres Aussehens nur Hexe
genannt - strich zärtlich über das Gesicht der Schlafenden, das
so wunderschön war. Die helle Haut, das rabenschwarze Haar - wer Chandra
ansah, wurde unweigerlich an die Figur des Schneewittchens erinnert. So wie
die Zwerge ihren Gast gemocht hatten, so hatte auch die Alte das Mädchen
geliebt. Über lange Jahre hinweg war sie für Chandra alles gewesen.
Mutter und Vater zugleich. Sie hatte sie erzogen und ihr die Dinge beigebracht,
die dazugehörten, wenn man sein Leben gestalten musste
von Jason Dark, erschienen am 02.11.2010, Titelbild: McGrath
Rezension von
Florian
Hilleberg:
Kurzbeschreibung:
Karina Grischin und Wladimir Golenkow jagen in Moskau ein Phantom, das bereits
mehrere Menschen eiskalt ermordet hat. Als sie benachrichtigt werden, dass
das Phantom im Hafen gesichtet wurde und dort zwei Männer erschossen
hat, gibt es für die beiden russischen Agenten kein Halten mehr.
Tatsächlich kommt es schnell zur Konfrontation mit dem Phantom, das
sich als weibliche Killerin entpuppt, die sogar gegen Kugeln immun ist. Wladimir
wird bei dem Einsatz schwer verletzt und so bleibt Karina nichts anderes
übrig, als John Sinclair um Hilfe zu bitten. Der fliegt sofort nach
Moskau, wo in der Zwischenzeit ein Baulöwe namens Oleg Blochin mit Karina
Kontakt aufgenommen hat, denn auch er fürchtet um sein Leben. Offenbar
gehört die Killerin Chandra zu Rasputins Erben, deren Ziel es ist
möglichst viel wirtschaftlichen und politischen Einfluss zu nehmen,
um Macht zu erlangen. Dabei scheint sich die Organisation schwarzmagischer
Mittel zu bedienen. Und Chandra ist nicht nur kugelfest, sondern auch
brandgefährlich, wie John Sinclair und Karina Grischin am eigenen Leib
erfahren müssen
Meinung:
So plakativ, ja trivial, der Titel auch klingen mag, mit "Kugelfest und
brandgefährlich" liefert Dark den zweiten packenden Roman in Folge ab.
Dieses Mal verschlägt es Sinclair einmal mehr in die russische Hauptstadt
Moskau und seine Eindrücke von den Bränden und der verrauchten
Luft, stellen einen Bezug zum aktuellen Geschehen her. Obwohl der Roman eher
ein Thriller mit übersinnlichen Elementen ist, als ein echter Grusel-
oder Horror-Roman, so hat die Geschichte doch alles, was eine gute JOHN
SINCLAIR-Story ausmacht: Action, Spannung, Atmosphäre, glaubwürdige
Charaktere und einen echten Serienbezug. Erneut verschont der Autor die Leser
mit unrealistischen Beschreibungen von Kindern und Jugendlichen oder albernen
Figuren, wie Carlotta, das Vogelmädchen, dem Jar Jar Binks des
Sinclair-Kosmos. Erfreulicherweise gibt es neben Karina Grischin auch ein
Wiederlesen mit Wladimir Golenkow, der in diesem Band sehr viel einzustecken
und zu verarbeiten hat. Hier zeigt sich, dass auch das Team um John Sinclair
nicht aus Supermännern und -frauen besteht, sondern aus verletzlichen
Menschen. Allerdings ist der Leser dem Ich-Erzähler Sinclair immer einen
Schritt voraus, denn es wird relativ schnell klar, dass hinter der Killerin
Chandra, die Loge Rasputins steckt, die im vorliegenden Band nur die Erben
Rasputins genannt wird. Insgesamt der beste und wichtigste Roman zu diesem
Thema, auch wenn einige Fakten aus den Vorgängerromanen ad absurdum
geführt werden. So wissen Karina und John nicht, wer eigentlich das
Oberhaupt dieser Organisation ist, obwohl in
Band 1567 der Geschäftsmann
Anatol als solcher vorgestellt wird. Natürlich kann es auch hier zu
Umstrukturierungen kommen oder Anatol ist nur ein Strohmann des wahren Bosses,
aber es wäre schöner für den Fan und Leser, wenn man davon
erfahren würde, eben weil die Geschichten so ausgelegt sind, dass der
Leser mehr weiß, als die Hauptfigur der Serie. Da unklar ist, ob Rasputin
selbst, oder sein Geist, die Organisation leitet, wäre es natürlich
auch durchaus denkbar, dass er wie ein Dibbuk sich immer neue Wirtskörper
sucht, was den Vorteil mit sich bringt, dass der Anführer nie greifbar
wäre. Ein wenig erinnern Setting und Handlungsaufbau an die DON
HARRIS-Romane, wo es in einer Geschichte ja ebenfalls um Rasputin ging. Dabei
geht es wirklich rasant und temporeich zur Sache, zumal das Geheimnis von
Chandra im Dunkel bleibt und sie eine ernstzunehmende Gegnerin
darstellt.
ACHTUNG SPOILER!
Leider bleibt ungewiss, weshalb Chandra kugelfest ist, und warum der Kopf
von dieser Widerstandskraft ausgenommen wird. Wie so oft, hat Jason Dark
extreme Probleme damit, Dämonen oder übersinnliche Geschöpfe
zu schildern, die einen Kopfschuss überstehen können. Dafür
kann der Leser um Waldimir Golenkow bangen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit
im Rollstuhl sitzen muss. Ein herber Rückschlag für das Sinclair-Team
und eine tragische Niederlage, obwohl dadurch auch das Thema Behinderung
glaubhaft eingebracht werden kann, denn zur Zeit gibt es ja keinen von Johns
Freunden, der ein echtes Handicap hat. Auch die Gefühle und Ängste
von Karina wurden eindringlich beschrieben, ohne aufgesetzt oder unrealistisch
zu wirken. Das Sahnehäubchen des Roman bildet jedoch das Entkommen von
Chandra, was Anlass zur Hoffnung gibt, dass ihre Unverwundbarkeit schlüssig
erklärt werden wird. Laut der Vorschau zum kommenden Band, wird dieser
aller Wahrscheinlichkeit nach, eine direkte Fortsetzung der vorliegenden
Geschichte sein. Einziges Manko ist lediglich die häufige Verwendung
der Vokabel "kugelfest", immerhin sind das die meisten von Johns Feinden.
Glücklicherweise wird der komplette Romantitel kein einziges Mal in
den Kontext eingebaut.
Fazit: Durchweg spannender und packender Sinclair-Roman, in der eine neue,
ernstzunehmende Gegnerin die Bühne des Geschehens betritt. Gute Unterhaltung
mit kleinen stilistischen Schwächen.
Besonderheiten:
Erster Auftritt von Chandra, einer Auftragskillerin der Erben Rasputins,
die gegen Kugeln gefeit ist.
Wladimir Golenkow wird mit zwei Kugeln angeschossen und muss im Rollstuhl
sitzen.
Auch der Humor kommt im Roman nicht zu kurz, siehe Seite 57, Spalte 1: "Er
sitzt allein in einer Umgebung, die aussieht wie ein Katzenkorb. Auf dicken
Polstern. Wie ein Pascha, der Sascha."
4 von 5 möglichen Kreuzen:
Kommentare zum Cover:
Die Szene kommt im Roman fast genau so vor und der herbe Gesichtsausdruck
passt auch perfekt zu der Russin. Dennoch fehlt dem Cover das gewisse Etwas,
denn so würde es eher zu einem JERRY COTTON-Roman passen. Außerdem
trägt die Dame auf dem Titelbild eine Polizeimarke.
Coverbewertung:

Rezension von
VoXpOpZ:
Kurzbeschreibung:
Die kugelfeste Auftragskillerin Chandra verletzt Wladimir Golenkow
lebensgefährlich. Karina Grischin informiert John, um sich mit ihm auf
die Suche nach dem Phantom zu machen. Die Jagd jedoch läuft ins Leere,
und John reist unverrichteter Dinge wieder ab.
Meinung:
Zeichnete sich das letzte Heft (Nr.
1685: Angriff der Racheengel) durch eine männlich-herbe
Erzählweise aus, die gut im Gruselkontext der Serie eingebettet war,
haben wir es hier erneut mit einem Roman zu tun, der auf maskuline Züge
setzt den Anschluss ans Genre aber diesmal gehörig verpasst.
Tatsächlich geht es doch nur um ein brandgefährliches Ballergirl,
das vom russischen Geheimdienst gesucht wird. Dass Chandra kugelfest ist,
schön und gut - aber rechtfertigt das, sie zur Protagonistin und zum
alleinigen Thema eines 64-seitigen Gruselromans zu machen? Wohl kaum, denn
eine schießwütige, unverwundbare Mörderin ist nicht der Stoff,
aus dem Sinclair gemacht wird. Tatsächlich liegt der Geschichte ein
Plot zugrunde, der besser für einen 007-Roman verwendet worden wäre
als für ein GJS-Heft.
Dabei beginnt alles so gut: Die ersten acht Seiten sind an unheimlicher Spannung
und Atmosphäre kaum zu überbieten. Der sinnlos-brutale Mord an
Matuschka - quasi die Ouvertüre des Todeszugs der bildschönen Chandra
- liest sich wie der vielversprechende Auftakt eines grandiosen Romans. Doch
was dann folgt, ist eine unheilvolle Verkettung ungruseliger Ballerszenen,
nicht enden wollender Verfolgungsjagden und anspruchsloser Gespräche.
Die Settings sind abgedroschen und langweilig (ein Containerhafen, ein russischer
Rohbau, ein Bordell namens "Katzenkäfig"), sämtliche Figuren sind
austauschbar, oberflächlich, ohne Leben. Selbst John steht völlig
neben dem Geschehen. Der Geisterjäger jagt keine Geister, sondern
läuft ziemlich hilf- und ideenlos einer gefährlichen Killerin
hinterher. Warum holt Karina John eigentlich nach Russland? Und warum fliegt
er nach nicht einmal 24 Stunden unverrichteter Dinge zurück nach London?
Für die kurze Zeit, die John an Karinas Seite verbracht und nichts (!)
erreicht hat, hätte er keineswegs anreisen müssen. Sein Auftritt
ist dramaturgisch ebenso fragwürdig und unbegründet wie der gesamte
Verlauf der Handlung.
Dass Chandra im Auftrag der Loge Rasputins tötet, deutet zwar einen
serienrelevanten Kontext an, dient letztlich aber auch nur dem reinen
Selbstzweck: der bemühte Hintergrund um Rasputins Erben kaschiert die
dramaturgische Fragwürdigkeit des Romans. Auch Wladimirs Schussverletzung
und die auf Wirkung gequälte Ankündigung, dass er nie wieder laufen
kann, sind zu plakativ, als dass sie mitnehmen. Selbst Karinas und Johns
Anteilnahme wirkt inszeniert und emotional aufgesetzt.
Stilistisch kaum antastbar und bildgewaltig ( Die Aufbauten der Kräne
ragten wie Fremdkörper in den Himmel. Starre Monsterarme, die darauf
warteten, bewegt zu werden. ) beweist der Autor, dass er sein Handwerk versteht
- demonstriert jedoch auch, dass Talent aus einem schlechten Grundplot noch
lange keinen guten Roman macht. Harsche Männlichkeit in Sinclair-Romanen
kann funktionieren, das hat der Vorgängerroman eindrucksvoll bewiesen.
Hier aber läuft alles ins Leere. Ballerei und Action en masse,
schlussendlicher aber nur viel russischer Rauch um nichts. Kaum vorstellbar,
dass dieses Heft einen Sinclair-Fan nachhaltig begeistern kann.
Das Urteil fällt dementsprechend vernichtend aus: Schwacher, staubtrockener
Thriller, deplaziert im Sinclair-Universum. Ein Rohrkrepierer vom Feinsten,
allenfalls mottenkugelfest und ungefähr so brandgefährlich wie
ein Badesee an Regentagen.
Besonderheiten:
- Erster Auftritt der kugelfesten Chandra, die im Auftrag der Erben Rasputins
mordet.
- Wladimir Golenkow wird von Chandra angeschossen und liegt
querschnittsgelähmt im Krankenhaus.
0 von 5 möglichen Kreuzen:
Kommentare zum Cover:
Traurig, dass Lena Meyer-Landrut sich inzwischen auch für Heftroman-Cover
zur Verfügung stellt ;-) Eines der billigsten Titelbilder, die ich je
gesehen habe. Altpapierwürdig.
Coverbewertung:

Ein Zusatzhinweis zu dem Cover kommt von Michael Schick, sowie Robin
Günther:
Das Christian McGrath-Motiv stammt ursprünglich vom Einband des
englischsprachigen Romans THE DARKEST EDGE OF DAWN von Kelly Gay: