Macabros Nr. 40: Tal der tausend Foltern

Macabros Nr. 40: Tal der tausend Foltern


Als das Telefon klingelte, fuhr Spencer Loredge zusammen, als hätte ein Peitschenschlag ihn getroffen. Der Blick des dreiundfünfzigjährigen Wissenschaftlers flog nicht zu dem rasselnden Apparat, sondern zur Uhr. Wenige Minuten nach zehn Uhr abends. Er konnte sich nicht daran erinnern, daß in den letzten Jahren jemand nach neun Uhr noch angerufen hatte. Spencer Loredge war bekannt dafür, daß er es nicht liebte, nach neun Uhr abends gestört zu werden. Jeder in seinem Freundes- und Bekanntenkreis hielt sich daran. Wer konnte jetzt noch anrufen?


von Dan Shocker, erschienen am 24.08.1976, Titelbildzeichner: R.S. Lonati

Rezension von GoMar:


Kurzbeschreibung:
Spencer Loredge erhält einen Anruf von Lee Brown, einem Archäologen-Kollegen. Dieser ist aber seit über einem Jahr verschollen. Brown überredet ihn und noch zwei Kollegen, nachts einen Besuch im British Museum zu machen; er würde ihnen dort eine Sensation zeigen. Sie kommen hin. Brown zeigt ihnen den "Sarg des Somschedd", eine 4000 Jahre alte Zeitmaschine eines altägyptischen Priesters. Anfangs mehr als skeptisch, willigen sie schließlich ein, eine Versuchsreise in die Pyramide des Somschedd mitzumachen. Doch die geht bei der letzten "Fahrt" schief ...
Björn Hellmark und Danielle de Barteauliée verbringen den Tag unterdessen in der Nähe eines großen Waldes, da Björn nur nachts wandern kann, weil er dem Südstern folgen muß, ein Sterngebilde, das ihm den Weg nach Tschinandoah weisen soll. Hier versucht Danielle, gegen ihre wahre Überzeugung, Björn zu töten, um Rha-Ta-N'mys Forderung zu erfüllen. Doch Björn ahnte etwas - und so "tötet" Danielle Macabros, doch dieser kann nicht getötet werden. Björn ist schwer enttäuscht, stellt Danielle zur Rede, und die wunderschöne Hexe beichtet ihm alles. Sie verspricht ihm, von nun an ihre Hexenkräfte nur noch gegen Rha-Ta-N'my einzusetzen, und so darf sie bei Björn bleiben.
Als sie noch mit Ka-To, einem Ullnaker, zusammentreffen, der ihnen erklärt, daß vor ihnen das "Tal der tausend Foltern" des Magiers Tamuur liegt, aus dem noch keiner zurückkam, brechen sie schließlich dennoch zu dritt auf, denn Björn muß durch das Tal ziehen, da der Südstern genau diese Richtung vorgibt. Kaum sind sie in den Wald eingedrungen, geschehen schon die unheimlichsten Dinge mit ihnen. Vor allem stellen sie fest, daß alle Pflanzen, Blumen und sonstigen Gewächse aus menschlichen Körpern und pervertiert veränderten Organen bestehen, die alle nur eines wollen: neues Leben in sich aufsaugen. Und dann stehen sie Tamuur, dem Scharlachroten gegenüber ...
Indessen stellt sich auf der Erde heraus, daß Somschedd Lee Brown und Spencer Loredge abgefangen hat, weil er Brown zwingen will, ihm nach 4000 Jahren zur Freiheit zu verhelfen. Die beiden anderen Archäologen sind aber 4000 Jahre in die Vergangenheit gereist! Brown geht zum Schein darauf ein, plant jedoch, sich die Zeitmaschine wieder anzueignen, um seine Freunde und sich retten zu können. Diese Zeitmaschine konnte Somschedd mittels den Anweisungen Tamuurs bauen, um zu ihm zu kommen, doch Lee Brown "stahl" sie ihm durch seine Zeitforschungen, und so konnte Somschedd sie nicht mehr benutzen. Und endlich stehen die beiden tatsächlich wieder vor dem Sarg des Somschedd ...
Björn und Danielle geraten in die Gefangenschaft Tamuurs, der unter der Anweisung Rha-Ta-N'mys die beiden zwingt, gegeneinander zu kämpfen bis zum Tod eines der beiden. Dem "Sieger" winkt ein "Leben" in Tamuurs Zaubergarten. Ka-To unterdessen findet Prinzessin Aleana, die Fürstentochter aus Ullnak, die er liebt und daher befreien will, im Schloß des Magiers, wo sie das Blendwerk Tamuurs nicht durchschaut. Ka-To öffnet ihr schließlich die Augen, indem er Tamuur überredet, sich ihr in seiner wahren Gestalt zu zeigen. Tamuur tut dies, und Aleana wendet sich vollkommen entsetzt von dem Magier ab. Aus Wut darüber verwandelt er Ka-To in eine seiner Pflanzen und will Aleana nun zwingen, ihn zu lieben. Die fliehende Aleana trifft auf Björn und Danielle, die ebenfalls aus der Arena des Todes geflohen sind und im Schloß Tamuurs landen, wo sie den Monstern Tamuurs gegenüberstehen. Da entdeckt Björn die "Puppe des Somschedd", vor der Al Nafuur am Beginn der Reise ihn eindringlich warnte, sie unter keinen Umständen zu benutzen. Doch in seiner Not, den Monstern und Tamuurs Zaubergarten zu entkommen, kriecht er mit Danielle hinein, nicht ahnend, daß Lee Brown das Gegenstück zur gleichen Zeit benutzt.
So kommt es zu einer folgenschweren Katastrophe ...


Meinung:
Der 2. Teil von Björns Odyssee in einer anderen Dimension auf der Suche nach dem legendären Tschinandoah gestaltet sich äußerst spannend. Wenn auch der Part auf der Erde mit der Zeitmaschine des altägyptischen Priesters Somschedd ziemlich überdreht wirkt, so wird sie durch die geschickte Verwebung von Dan Shocker mit einem Gegenstück in Tamuurs Welt wiederum sehr interessant. Dazu kommt noch eine Theorie Dan Shockers über den Ablauf von Zeit (D. S. beschäftigt sich in seinen Romanen ja immer wieder mit "Zeitspielen"), die doch faszinierend ist. Und die Rache des Somschedd, der sich vor der Strafe des Pharaos mit der Zeitmaschine nicht mehr retten konnte, da Lee Brown ihm diese durch Entdecken der Pyramide "entwendete", gibt schon einige Kopfnüsse auf. Das muß man einfach lesen. Abgesehen von dieser Zeitspielerei gestaltet sich die Beschreibung Somschedds und der Pyramide mit ihren Geheimnissen, sowie den verzweifelten Versuchen der Archäologen, wieder unbeschadet die Pyramide verlassen zu können, doch sehr spannend ...
Tja, und dann ist da noch Tamuur, der Scharlachrote, der sonderbarste Magier der Horror- und Fantasy-Literatur, den ich kenne. Tamuur ist weder menschlich noch tierisch, noch pflanzlich. Er ist schon immer gewesen, obwohl niemand etwas mit dieser Aussage anfangen kann (erst in Nr. 53: "Totenkopfmond" kommt in diesem Fall die Auflösung). Doch so weit sind wir noch lange nicht. Mit der Beschreibung dieses Magiers hat Dan Shocker ganz tief in seiner Phantasie gekramt und ein Wesen geschaffen, das sicher seinesgleichen sucht, besteht es doch hauptsächlich aus zusammengewickelten Bändern, Knollenhänden, einem Kopf, der einer aufgeklappten Muschel gleicht, und als besondere "Krönung" züngeln ca. 30 Zentimeter lange Flammen in allen Rottönen aus seinem Kopf, die einen scharlachroten Schein verbreiten. Davon kommt sein Beiname. Zusätzlich ist Tamuur mit einer unglaublichen Macht ausgestattet, gegen die Björn kein Mittel findet, außer die Flucht durch die "Puppe des Somschedd", das in Tamuurs Welt sich befindende Gegenstück zum "Sarg des Somschedd". Zur Macht des Magiers kommt noch seine absolute Grausamkeit und sein Wille, alles Leben auf seine besondere Weise zu verändern, was er nie aus den Augen verliert. Nur eines kennt er nicht: die wahre Liebe. Und so will er diese von Aleana, einer entführten Fürstentochter, bekommen. Dies klappt aber nur, solange sie ihn nicht in seiner wahren Gestalt sieht ...
Auch das Geschehen mit dem Mordversuch Danielles an Björn liest sich anfangs spannend, wenn auch die absolute Gutmütigkeit und Leichtgläubigkeit Björns ihr gegenüber dann doch mehr als unglaubwürdig erscheínt, aber dieser schönen Frau kann auch er nichts abschlagen. Leider macht Dan Shocker nichts aus dieser Situation, denn seit Björn jetzt kein Luxusleben mehr als Playboy führt, scheint er selbst den übernatürlichen Reizen der Danielle de Barteauliée standhafter gewappnet zu sein als ein Büßermönch. Schade, denn hier hätte durchaus ein ordentlicher Schuß Erotik der ganzen Geschichte eine prickelnde Würze verleihen können, aber vielleicht lag's auch an den Tugendwächtern der damaligen Romanszene. Dafür gipfelt der Roman in dem Zweikampf Danielles und Björns, der durchaus spannend beschrieben ist, da man manchmal das Gefühl hat, jetzt bricht doch das Böse in ihr wieder durch. Dieser innere Konflikt Danielles wird von Dan Shocker ganz gut dargestellt, auch wenn hier noch viel mehr Tiefgang möglich gewesen wäre ...
Fazit: Ein sehr spannend geschriebener Roman, der es wirklich verdient, gelesen zu werden. Dan Shocker treibt das Geschehen um die Suche nach Tschinandoah fulminant weiter, ohne dieses Tschinandoah auch nur ansatzweise näher zu beleuchten. Die Beschreibung von Tamuurs Zaubergarten ist schon ziemlich starker Tobak, der schon etwas an den Nerven zerrt, wenn man sich vorstellt, so etwas würde wirklich existieren. Hier läßt er seiner Phantasie wieder einmal ordentlich die Zügel schießen. Und Tamuur selbst - das ist allererste Sahne, ich würde sogar sagen: meisterhaft! Das hätte sich ein Baron Frankenstein niemals erträumen können. Und obwohl Tamuur eine unglaubliche Machtfülle von Dan Shocker zur Verfügung gestellt bekommt, straft er ihn dennoch gewaltig ab, indem er ihn nach der wahren Liebe lechzen läßt, denn dieses Gefühl kann er für sich nicht erzwingen, kann er nicht durch magische Kraft bewirken. Echte Liebe erhält man immer nur freiwillig, denn sie kommt nur aus den Herzen der Menschen. Auch dies ist etwas, was Tamuur fehlt, denn er hat tatsächlich kein Herz von Dan Shocker zur Verfügung gestellt bekommen. So entsteht eigentlich mit Tamuur ein mächtiges Wesen, dem niemand gewachsen scheint, das auf der anderen Seite aber wiederum verzweifelt der wahren Liebe hinterherläuft ...
Wie so mancher Mensch im echten Leben auch ...


Besonderheiten:
1. Tamuur, der Scharlachrote, ein überaus unheimlicher Magier hat hier seinen 1. Auftritt.
2. Björn und Danielle betreten den Zaubergarten Tamuurs, aus dem es kein Entkommen gibt.
3. Aleana, die Fürstentochter aus Ullnak, hat ebenfalls ihren 1. Auftritt.
4. Der ägyptische Priester Somschedd taucht nach 4000 Jahren wieder in seiner Pyramide auf.
5. Ein Archäologe findet eine Zeitmaschine und löst dadurch eine Katastrophe aus.


5 von 5 möglichen Kreuzen:
5 Kreuze


Kommentare zum Cover:

Ein sehr düster und unheimlich gestaltetes Titelbild von Lonati, das zum Großteil einer Beschreibung im Roman entspricht, wobei die Figur rechts im Vordergrund nicht darin vorkommt. Der Aasgeier im Hintergrund kommt ebenfalls nicht vor, außer er symbolisiert Rha-Ta-N'my, was dann aber eine mehr als schwache Darstellung der Dämonengöttin wäre.


Coverbewertung:
3 Kreuze