Macabros Nr. 41: Tschinandoah - wo die Steine leben
Er schlug die Augen auf. Unruhe erfüllte ihn, Björn Hellmark alias
Macabros starrte zum Himmel. Zartes Blau-Grau spann sich wie ein dichtgewebtes
Netz über eine hügelige Landschaft, in der schlanke, himmelragende
Bäume wuchsen. Sie stunden in Gruppen und waren von einer spröden,-
bindegewebsartigen Haut zusammengefaßt, so daß sie wie ein
überdimensionales, alleinstehendes Gewächs wirkten. Im Abstand
von mehreren hundert Metern ragte jeweils ein solcher Baum in die Landschaft.
Björn wischte sich über die Augen und atmete tief. Die Sonne stand
noch verhältnismäßig hoch. Ihre Strahlen waren warm und angenehm.
Die Luft bewegte sich nicht.
von Dan Shocker, erschienen am 28.09.1976,
Titelbildzeichner: ???
Rezension von
GoMar:
Kurzbeschreibung:
Björn Hellmark ist entsetzt, als er erkennen muß, daß durch
die Benutzung der "Puppe des Somschedd" er und Danielle in ein völlig
anderes Sonnensystem geschleudert wurden. Wo aber befindet er sich jetzt
genau? Da lernt er plötzlich "fliegende Festungen" kennen, die Wesen
aus sich öffnenden Bäumen saugen, und landet im Umkehrschub unter
der Erde der fremden Welt. Danielle wiederum wird an Bord einer der
"Flugstädte" gesaugt und soll dort befragt werden, bevor sie wie alle
anderen Leidensgenossen getötet werden soll. Björn lernt indes
das unterirdische Volk der Satis kennen, die einem Flüssigwesen namens
Vatox dienen. Die Satis bauen immer größere Kavernen, um dem
Expansionstrieb Vatox' gerecht zu werden. Dafür gibt Vatox vor, ihnen
gegen die Jo-Os, die Flugwesen, beizustehen.
Unterdessen kommt Rani Mahay ins ehemalige "Tal der tausend Foltern", das
eine staubige Einöde geworden ist. Dort begegnet er Lanok, einem Ullnaker,
der eine Statuette, die Björn Hellmark gleicht, mit Nadeln spickt, damit
demjenigen, der ihnen vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden "ihre Zeit stahl",
körperlicher Schaden zugefügt wird. Rani unterbindet dies und macht
sich mit Lanok und in Begleitung von Chitra, seiner geliebten Tigerin, auf
nach Ullnak, um diesem Irrglauben Einhalt zu gebieten. Denn dort stehen noch
etliche große Statuen, die dem Volk der Ullnaker als Katalysatoren
ihres Zornes gegenüber Björn dienen. Rani ist voller Zweifel
darüber, ob denn aus Björn wirklich ein so schlechter Mensch geworden
ist, aber er will nicht daran glauben. In Ullnak macht er sich daran, die
Nadeln aus allen Statuen zu entfernen, und landet durch Lanoks Verrat in
den Händen von - Tamuur, dem Scharlachroten. Hilflos muß Rani
Mahay schließlich mitansehen, wie Chitra durch Tamuurs Magie von einer
umgewandelten fleischfressenden Pflanze in Tamuurs Zaubergarten verschlungen
- und ebenfalls zu einer solchen Pflanze gemacht wird. Als Tamuur Rani offenbart,
daß dies auch sein Schicksal werden wird, springt Rani vom Fenster
seiner Zelle in Tamuurs Burg hinunter ins Meer. Er will lieber auf diese
Art sterben, als Chitras Schicksal teilen ...
Björn lernt unterdessen im Traum als Macabros Tschinandoah kennen, die
Welt, die sein eigentliches Ziel ist. Aber er muß erkennen, daß
durch die Benutzung der "Puppe des Somschedd" Tschinandoah am Ende seiner
Zeit angelangt ist und die legendäre Stadt kurz vor dem Untergang steht.
Die Botschaft, der er nachjagt, ist durch Molochos' Hinterlist aus Tschinandoah
verschwunden! War also alles umsonst?
Gerade als Björn weitere Schritte einleiten will, um sich näher
mit dem Schicksal Tschinandoahs zu befassen, eskaliert die Situation mit
Vatox und den Jo-Os. In dem nun folgenden Tohuwabohu scheint das Schicksal
von Björn Hellmark, Danielle de Barteauliée, den Satis und den
Jo-Os besiegelt, denn Vatox offenbart ihnen allen, was es nun geschlagen
hat ...
Meinung:
Dan Shocker ändert in diesem Roman erstmals sein Handlungsschema. Es
gibt keinen "erdbezogenen" Part mehr, sondern die Handlungsstränge teilen
sich auf in den Björn-Hellmark-Strang und den Rani-Mahay-Strang. Eine
durchaus interessante Variation, denn Rani erreichte gerade den Rand des
Tals der tausend Foltern, als Björn und Danielle in die "Puppe des
Somschedd" krochen und eine kleine galaktische Katastrophe dadurch
auslösten. Björn und Danielle landen auf einer fremden Welt mit
vollkommen bizarren Bäumen und Lebewesen. So bizarr und interessant
diese Lebewesen auch sind, irgendwie wirken sie ein bißchen wie
Lückenfüller auf Björns Weg nach Tschinandoah. Dieses Tschinandoah
erreicht er im Traum nur als Macabros, zu seinem Glück, denn die hier
lebenden Steine hätten ihn als "echten" Menschen unter Garantie vernichtet,
kurz bevor die explodierende Sonne Tschinandoah auslöscht. Nichtsdestotrotz
ist das Geschehen, welches Björn und Danielle miterleben, sehr dramatisch
dargestellt in seiner Ausweglosigkeit. Hier werden zwei Völker gegeneinander
ausgespielt von einem unglaublich bizarren Wesen, das wieder einmal Dan Shockers
magischer Phantasie entspringt.
Der Part mit Rani Mahay ist hier meiner Meinung nach eigentlich der
dramatischere, denn auf seiner Suche nach Björn verschlägt es ihn
in die Knollenhände Tamuurs. So gelingt es Dan Shocker, das "leidige
Problem" mit Chitra auf Marlos zu lösen. Denn wie in Roman Nr. 39
beschrieben, plante D. S. sogar mehr als - 3 Millionen! - Menschen auf Marlos
anzusiedeln, nicht bedenkend, was das beispielsweise an Umweltzerstörung
für Städtebau und Infrastrukturschaffung bedeuten würde. Ob
Marlos da noch unsichtbar bleiben hätte können? Ob es da wirklich
nur eitel Wonne und Eierkuchen auf Marlos gegeben hätte? Wohl kaum!
Aber eines ist D. S. wohl klargeworden: Chitra i s t eine Raubkatze und an
Rani und seine wenigen Freunde auf Marlos gewöhnt, aber andere, fremde
Menschen? Da würde mit Sicherheit das Raubtier in Chitra durchbrechen,
vor allem, wenn Rani nicht anwesend wäre. Also bot sich mit Tamuurs
Zaubergärten wohl eine gute Gelegenheit, Chitra spektakulär zu
"entsorgen", vor allem, wenn man weiß, daß D. S. sich ungern
von seinen Hauptfiguren trennt. Aber was soll man machen, wenn man auf Marlos
Blutvergießen verhindern muß?!
Und dann folgt noch Ranis Sprung ins Ungewisse, eigentlich in den Tod, denn
die Burg liegt Hunderte Meter über dem Meeresspiegel, und diesen Sprung
würden nicht einmal die berühmten Todesspringer von Acapulco wagen,
geschweige denn überleben! Soviel ich weiß, muß aus solcher
Höhe das Aufprallen auf das Wasser dem Aufschlagen auf einem Betonboden
gleichen. Aber solche Kleinigkeiten sind für "wahre Helden" eben da,
um bewältigt zu werden ...
Fazit: Ein durchaus gelungener Roman, der Björn Hellmark alias Macabros
endlich nach Tschinandoah führt, wenn auch etwas zu spät. Die
Schilderungen der fremden Völker auf - Tschinandoah? - sind spitze
beschrieben. Auch die Aufteilung von Björn unter die Erde und Danielle
hoch hinauf in die Luft und ihrer beider Kämpfe ums nackte Überleben
zum Schluß sind sehr spannend. Absolut unglaubwürdig erscheint
mir das sehr kühl wirkende Zusammentreffen von Björn und Danielle
nach beider Beinahe-Ende, das irgendwie einem Geschäftsessentermin zwischen
Handelspartnern gleicht. Nach so einem knappen Davonkommen würden zumindest
eine Danielle de Barteauliée keine gesellschaftlichen Barrieren namens
Carminia Brado beispielsweise davon abhalten, ihren Lebenshunger mit Björn
Hellmark zu teilen! Da hätte sich Dan Shocker einfach mehr trauen sollen
...
Ranis Schicksal und sein erstmaliges Zusammentreffen mit Tamuur, dem
Scharlachroten, sowie mit Aleana, der schönen Fürstentochter aus
Ullnak überzeugen durchaus. Diese Konstellation wird noch für einigen
Lesestoff sorgen - vor allem in der berühmten Rani-Mahay-Trilogie.
Besonderheiten:
1. Björn und Danielle gelangen nach Tschinandoah und lernen seltsame
Völker kennen.
2. Björn erfährt, daß die wichtige Botschaft für ihn
in den Händen Zavhos ist, den Molochos in den Hades, den Hort der
Vergessenen verbannte.
3. Rani Mahay begegnet erstmalig Tamuur und Aleana.
4. Chitra wird in eine fleischfressende Pflanze verwandelt.
3 von 5 möglichen Kreuzen:
Kommentare zum Cover:
Ein stark überfrachtetes Titelbild mit einer üppigen Blondine im
Vordergrund, die so als Tempelwächterin in Tschinandoah beschrieben
wird. Die vielen Schlangen und die Fledermäuse im Vordergrund haben
mit der Handlung nichts zu tun, ebenfalls die Kampftruppen im Hintergrund
des Bildes. Der Totenschädel rechts unten ist wohl so etwas wie ein
"Zauberkreis-Erkennungszeichen", das man von vielen Larry-Brent-Covern her
kennt, vor allem von den berühmt-berüchtigten Fotomontagen der
späten Sechziger und frühen Siebziger. Insgesamt hat es aber eine
ziemlich gruselige Wirkung, die vor allem durch die aufgerissenen
Schlangenmäuler erzielt wird ...
Coverbewertung: