Professor Zamorra Nr. 905: Die Anstalt

Professor Zamorra Nr. 905: Die Anstalt


Joseph Rawlings fluchte, als die Kreide zerbrach. Er bückte sich, hob das abgebrochene Stück auf und ließ es in der Ledertasche seines Gürtels verschwinden. Dann setzte er den Stumpen neu an und malte einen Kreis an die Wand. Es schabte leise. Als würde eine Maus an einem trockenen Brotkanten nagen. Der Wärter griff nach der abgestellten Petroleumlampe und richtete sich wieder auf. Schmerz stach in seinen Rücken. Verdammtes Kreuz! Er wurde nicht jünger, und die Knochen wollten nicht mehr so wie früher. Jeden Tag kam ein neues Zipperlein dazu. Sein acht Jahre älterer Bruder war gegen ihn der reinste Gesundbrunnen. Aber wahrscheinlich lag das daran, dass der nicht sein halbes Leben hinter Gefängnismauern verbrachte. Das Verrückte an Zuchthäusern war, dass sich die Wächter mit der Zeit ebenso eingesperrt fühlten wie die Verbrecher in ihren Zellen. Und schnell hatte man sich in den feuchteren Stockwerken die Schwindsucht geholt. Todesursache Nummer eins bei den Häftlingen. An zweiter Stelle stand die Blutvergiftung nach Rattenbissen. Ja, die Ratten. Vier- wie Zweibeinige...


von Adrian Doyle, erschienen am 03.02.2009, Titelbild: Arndt Drechsler

Rezension von Stefan (Lobo) Albertsen:


Kurzbeschreibung:
Im Jahre 1890 tun sich merkwürdige Dinge im Gefängnis "Millbank Peniteniary", welches am Ufer der Themse gelegen ist. Ein geheimnisvolles, gläsernes Wesen treibt in ihm sein Unwesen und tötet Menschen - Insassen wie Wachleute. Der Direktor Pallister weiss sich nur einen Rat und schottet das Gefängnis, gemäß einer sehr alten Order, die er in seinem Tresor findet von der Außenwelt ab.
In der Gegenwart ruft Detective Paul Horgath von Scotland Yard Professor Zamorra und Nicole Duval zur Hilfe bei einem ebenfalls mehr als eigentümlichen Geschehen. In jenen geheimnisvollen Fremden, der mit Nicole zusammen aus der Vergangenheit in die Gegenwart gerissen wurde, und der seit diesem Geschehen einbandagiert im Krankenhaus mit dem Tode zu ringen scheint, ist Leben gekommen, was sehr bizarre Auswirkungen aus all diejenigen in seiner näheren Umgebung hatte. Tatsächlich sind sehr alte, gebrechliche oder gar totkranke Menschen um mindestens zwanzig Jahre verjüngt worden und haben ihre Erinnerungen an die letzten beiden Jahrzehnte eingbüßt. Außerdem sind ein junger Arzt und eine Krankenschwester zu kleinen Kindern geworden. In einem gewissen Intervall scheint es so, als gebe der Fremde aus der Vergangenheit eine Stoßwelle unbekannter Energie ab, die zwar räumlich nur begrenzt wirkt, aber das Können und den Erfahrungsschatz aller Anwesenden überfordert.
Zamorra und Nicole reisen schnellstmöglich nach England, denn immerhin steht der Fremde ja mit einem ihrer früheren Fälle in Verbindung. In der Vergangenheit unterdessen, lernt der Leser den außergewöhnlichen Mr. Arsenius Hall (nicht zu verwechseln mit dem farbigen Talkshow-Moderator und Eddie Murphy-Freund) der über unglaubliche Kräfte verfügt, mit denen es ihm sogar möglich ist Vampire zu hypnotisieren. Eine Spezialeinheit der königlichen Polizei bringt Hall und dessen jungendlichen Begleiter Twist zum Buckingham Palace, wo der Hypnotiseur und Dämonenjäger von keiner anderen als Königin Victoria erwartet und mit einem heiklen Auftrag betraut wird.
In der Gegenwart probiert Zamorra Kontakt mit dem Bandagierten aufzunehmen, und mit Hilfe seines Amuletts, dass ihn gleichzeitig vor den Auswirkungen der "Intervalle" schützt, gelingt es ihm auch. Hall reist im ausgehenden 19. Jahrhundert, versehen mit einer speziellen Legitimation der Königin zum Millbank-Gefängnis. Die Monarchin hat ihn zudem ein wenig über die rätselhaften Schicksale seines Vaters und Großvaters aufklären können, die in irgendeiner Weise mit den Geschehnissen im Gefängnis und mit dem "Biest", wie jene gläsern wirkende Kreatur genannt wird, zusammenhängen. Hall stellt sich den geheimnisvollen Kräften im Inneren des Gefängnisses und muss erkennen, dass es dort eine magische Anomalie gibt, die sich nach und nach vom Zentrum ausgehend, ausbreitet und ebenfalls einige Menschenleben forderte. Er kann mit ihr in Verbindung treten und stellt fest, dass sie alles andere als negativ ist.
Doch ehe er etwas unternehmen kann, wird er auch schon vom Biest angegriffen und in die Anomalie hineingeschleudert und ... landet im 21. Jahrhundert. Irgendwie hat Zamorras Bemühen Nicole aus dem 18. Jahrhundert zu befreien, Hall mitgerissen und somit ist klar ... Aresenius Hall ist der Bandagierte. Als geklärt ist, dass die beiden Männer eigentlich auf derselben Seite stehen, beschließen sie zusammenzuarbeiten und brechen zum Tate-Museum auf, wo Nicole und Hall damals aus der Vergangenheit in die Gegenwart gelangten. Von hier aus wollen sie das Tor zur Vergangenheit erneut öffnen und Hall soll in seiner eigentlichen Zeit sein Schicksal erfüllen, denn es ist wohl so, dass sein eigener Großvater sich unter dem Millbank Gefängnis beerdigen ließ, um das Böse in der Erde (dem das Biest ja auch entsprungen ist) zu bannen und später durch Beifügen der Kräfte seines Sohnes und seines Enkels (Arsenius) zu erreichen, dass es so bleibt. Zamorra wird jedoch überrascht und landet selber auch im Jahr 1890, wo das Biest ihn angreift. Und er - ohne Amulett, denn das blieb in der Gegenwart - muss Hall die nötige Zeit verschaffen, damit er sich mit der "Großvater-Anomalie" verschmelzen kann. Kann das klappen?


Meinung:
Hier haben wir einen äußerst merkwürdigen Roman vorliegen. Ich möchte aber gleich feststellen, dass "merkwürdig" nicht mit "schlecht" gleichzusetzen ist, denn das ist die Geschichte nun wirklich nicht. Viel mehr runzle ich als Leser gelegentlich die Stirn, wenn die Geschichte irgendwie einen Haken schlägt. Da mir, als Neueinsteiger- ... (nein den Rest spare ich mir jetzt, der geht Euch bestimmt schon auf den Wecker), die Vorgeschichte fehlt, sich aber aus den Erinnerungen zumindest teilweise rekapitulieren lässt, bin ich natürlich schon von vornherein etwas durcheinander. Aber trotzdem: Schlecht ist die Story nicht. Allein der faszinierende Arsenius Hall mit seinen bemerkenswerten Kräften, durch die er scheinbar jede Person (außer Zamorra und Nicole) zu hypnotisieren vermag und die geheimnisvolle Vorgeschichte seines Großvaters und auch seines Vaters, vermögen zu fesseln und einen bei der Stange zu halten.
Besonders hervorheben möchte ich den raffinierten Trick, mit dem Hall einen Vampir vernichtet, weil er sogar in der Lage ist ihn zu hypnotisieren und ihm vorzugaukeln, es wäre düstere Nacht. Dabei steht die Sonne hell am Himmel. Sehr clever.
Adrian Doyles Schreibstil eckt schon mal etwas an und manche Formulierung wirkt etwas ungeschliffen, aber insgesamt lässt sich der Roman flott lesen und versteht zu überzeugen. Ich jedenfalls, werde meine Aufmerksamkeit demnächst wohl auf die beiden Vorgängerteile lenken und schauen, wie die Vorgeschichte zu den Geschehnissen in "Die Anstalt" abliefen. Und wenn die richtige Zeit gekommen ist, werde ich dazu auch Rezis verfassen.


Besonderheiten:
Erster (letzter?) Auftritt von Arsenius Hall
Erster (letzter?) Auftritt von Twist


3 von 5 möglichen Kreuzen:
3 Kreuze


Kommentare zum Cover:

Also das Cover ist wirklich supergeil! Die Atmosphäre wird hervorragend wiedergegeben und auch wenn die düstere Gestalt im Mantel und dem verkappten Dreispitz ein ganz klein wenig "feminin" wirkt und ich zunächst dachte, es wäre vielleicht Nicole, die da so abgebildet wurde, gebe ich hier gerne 4 Kreuze.


Coverbewertung:
4 Kreuze